Nach bundesweiten Razzien gegen eine mutmaßliche rechtsextreme Terrorzelle haben Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof (BGH) Haftbefehle gegen zwölf Männer erlassen. Alle zwölf befinden sich in Untersuchungshaft. Vier von ihnen sollen Mitglieder der Gruppe sein, die anderen acht Unterstützer. Zum Kern der Gruppe, die von den Ermittlern offenbar nach ihrem Anführer "Gruppe S." genannt wird, rechnet die Bundesanwaltschaft noch einen fünften Mann, der allerdings als Einziger nicht festgenommen wurde. Offenbar gibt es Verbindungen nach Finnland.

Was planten die Männer? Welche Ziele verfolgten sie? Das ist bisher bekannt:

Was weiß man über die neue Terrorzelle?

Die mutmaßlichen Rechtsterroristen sollen Anschläge auf Politikerinnen und Politiker, Asylsuchende und Muslime ins Auge gefasst haben. Wie konkret diese Pläne waren, ist unklar. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, die Zelle habe sich "offenbar in kurzer Zeit radikalisiert". Es sei "erschreckend, was hier zutage getreten ist".

Laut Bundesanwaltschaft hatte sich die Gruppe in Chats sowie telefonisch ausgetauscht und auch mindestens zweimal getroffen. Wie die Welt am Sonntag unter Berufung auf Ermittlerkreise berichtet, nannten die Männer ihre Gruppe in einem Chat "Der harte Kern". Die Männer hätten unter anderem Bezüge zu der rechtsextremen Gruppierung Soldiers of Odin (SOO) gehabt, deren Mitglieder das erste Mal im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise auftauchten. 

Die Soldiers of Odin organisierten in der nordfinnischen Kleinstadt Kemi an der Grenze zu Schweden im Oktober 2015 Straßenpatrouillen im Stile einer Bürgerwehr. Ziel war es nach ihrer Darstellung, die Polizei zu unterstützen, weil diese nicht in der Lage sei, insbesondere Frauen vor Übergriffen von Asylbewerbern zu schützen. Die Gruppe weitete sich auf andere Städte aus und soll damals in Finnland mehrere Hundert Mitglieder gezählt haben. Auch in anderen nordischen Ländern bildeten sich Ableger. Die Gruppe lehnt Migration und den Islam ab, weist aber Vorwürfe zurück, rassistisch oder kriminell zu sein. 

In Deutschland gibt es Ableger der Soldiers of Odin in Sachsen-Anhalt und in Bayern. Der bayerische Landesverfassungsschutz ordnet die Gruppierung seit Ende 2017 "dem subkulturell geprägten Rechtsextremismus" zu. 

Nach oben Link kopieren

Was ist über die mutmaßlichen Terroristen bekannt?

Die Festgenommenen sind dem Vernehmen nach zwischen 31 und 60 Jahre alt. Alle sind deutsche Staatsbürger. Gegen die vier mutmaßlichen Mitglieder der Gruppe erging Haftbefehl wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, gegen ihre Helfer wegen Unterstützung derselben.

Wie ZEIT ONLINE erfuhr, haben einige der Festgenommenen Bezüge ins rechte Milieu. Einer der Männer hat in der Vergangenheit im Shop der als rechts geltenden Rockband Freiwild eingekauft. Ein anderer kommentierte 2014 auf der Facebook-Seite des ehemaligen NPD-Chefs Udo Voigt. Der mutmaßliche Chef der jetzt nach ihm benannten Gruppe, Werner S. aus Mickhausen in Bayern, hatte sich 2017 bei der AfD gemeldet und Interesse an der Partei geäußert – mit einer Mailadresse mit Schweizer Endung und einem Namen, der an ein Altstadtviertel im italienischen Genua erinnert. Die Bundesgeschäftsstelle der AfD bestätigt diese Kontaktaufnahme, ein Sprecher sagte aber gegenüber ZEIT ONLINE: "Der Bundesverband der Alternative für Deutschland stand zu keinem Zeitpunkt in keinerlei Verbindung mit Herrn S."

Laut Bundesanwaltschaft koordinierte der 53-jährige Werner S. die Treffen der Gruppe. Wie der Spiegel berichtet, stuften die Sicherheitsbehörden Werner S., genannt "Teutonico", bereits vor mehreren Monaten als rechtsextremen Gefährder ein. In einigen Fällen soll der 39-jährige Tony E. Werner S. bei der Koordinierung unterstützt haben. Zum Kern der Gruppe sollen außerdem der 35-jährige Thomas N. und der 47-jährige Michael B. gehören. Die vier sollen sich im September 2019 zusammengeschlossen haben. 

Die acht mutmaßlichen Unterstützer sollen zugesagt haben, die Gruppierung finanziell zu unterstützen, Waffen zu beschaffen oder an künftigen Anschlägen mitzuwirken. Dem Vernehmen nach arbeitet einer von ihnen bei der Polizei: Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte am Freitag mit Bezug auf die Durchsuchungen bekannt gegeben, dass ein Verwaltungsmitarbeiter der Polizei suspendiert worden sei. 

Offenbar traf sich die Gruppe mehrfach in unterschiedlichen Zusammensetzungen. Der Spiegel berichtete, dass mehr als zehn Leute am Samstag vor den Razzien im westfälischen Minden zusammengekommen seien. Dieses Treffen sei von den Sicherheitsbehörden mit großem Aufwand observiert worden. 

Nach oben Link kopieren

Woher kommen die Mitglieder der Gruppe?

Der Generalbundesanwalt war am Freitag mit Razzien in sechs Bundesländern gegen die Gruppe vorgegangen. Der Anführer Werner S. kommt aus dem Raum Augsburg, Tony E. aus dem niedersächsischen Landkreis Uelzen, Thomas N. aus dem Kreis Minden-Lübbecke in Nordrhein-Westfalen und Michael B. aus dem Raum Esslingen in Baden-Württemberg. Die mutmaßlichen Unterstützer wurden ebenfalls in NRW, in Rheinland-Pfalz, Bayern und Sachsen-Anhalt gefasst.

Nach oben Link kopieren

Welche Pläne verfolgten sie?

Ziel der mutmaßlichen Rechtsterroristen soll gewesen sein, durch Anschläge auf Politiker, Asylbewerber und Muslime Chaos auszulösen und so "die Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik zu erschüttern und letztlich zu überwinden". Das teilte die Bundesanwaltschaft mit. Ähnliche Pläne verfolgte auch die rechte Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), die zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen ermordet hatte, die meisten von ihnen mit Migrationshintergrund. Ähnlichkeiten gibt es auch zu Plänen der Gruppe "Revolution Chemnitz", deren Mitglieder im Oktober 2018 festgenommen worden waren.

Konkret soll die Gruppe geplant haben, sechs Moscheen in kleineren Städten anzugreifen. Der Spiegel berichtet, in einem von den Behörden überwachten Gespräch sei die Rede von "Kommandos" gewesen, die angeblich in "zehn Bundesländern" zuschlagen sollten. Der mutmaßliche Anführer habe bei einem konspirativen Treffen vor einer Woche im nordrhein-westfälischen Minden seine Pläne skizziert, Muslime beim Beten anzugreifen, berichtete das Magazin. Zwei der Männer seien zur Beschaffung von Waffen ausgewählt worden, parallel dazu sollten Anschlagsziele ausgekundschaftet werden.

In Sicherheitskreisen gelten die Planungen der Gruppe als "besonders ernst zu nehmender Fall". Und zwar auch deshalb, weil die Männer, die sich offenbar nur zweimal trafen, schnell handlungsbereit waren. 

Nach oben Link kopieren

Verfügten die mutmaßlichen Terroristen über Waffen?

Nach Recherchen des SWR und des ARD-Hauptstadtstudios sowie der Bild-Zeitung und des Spiegels wurden bei den Razzien scharfe Waffen gefunden. Dabei habe es sich um eine schussbereite 9-Millimeter-Pistole und um selbst gebaute Handgranaten gehandelt. Auch eine Armbrust, Äxte, Morgensterne und zahlreiche Messer seien sichergestellt worden. In Sachsen-Anhalt sei eine selbst gebaute großkalibrige Schrotflinte gefunden worden, eine sogenannte Slamgun.

Nach oben Link kopieren

Wie kamen Ermittler der Gruppe auf die Spur?

Berichten zufolge hatten Stuttgarter Staatsschützer die Gruppe seit fünf Monaten im Visier. Laut Bild soll ein V-Mann den Ermittlungsbehörden Informationen übermittelt haben. Wie der SWR und das ARD-Hauptstadtstudio berichteten, gab der fünfte Mann in der mutmaßlichen rechten Terrorzelle – der Einzige, der bei der Razzia am Freitag nicht festgenommen wurde – Informationen über die Gruppe an die Ermittler weiter. Die Bundesanwaltschaft äußerte sich dazu nicht.

Den Recherchen von SWR und ARD-Hauptstadtstudio zufolge machte der Mann bereits Anfang Oktober umfangreiche Angaben gegenüber der Polizei. In der vergangenen Woche sei der Kontakt der Ermittler zu ihm aber abgerissen. Das federführende Landeskriminalamt Baden-Württemberg habe um seine Sicherheit gefürchtet und Sorge vor spontanen Taten der Gruppe gehabt. Deshalb seien die Durchsuchungen am vergangenen Freitag sehr kurzfristig organisiert worden.

Nach oben Link kopieren

Wie viele weitere Gefährder gibt es in Deutschland?

In Deutschland sind derzeit rund 50 Rechtsextremisten bekannt, denen die Sicherheitsbehörden schwere Straftaten bis hin zu einem Terroranschlag zutrauen, sogenannte Gefährder. Die Zahl nannte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Etwa 660 weitere Gefährder würden dem radikalislamischen Spektrum zugerechnet. Die Zahl der als Gefährder eingestuften Linksextremisten liege bei "weniger als zehn". 

Im Vergleich zur Statistik des Bundeskriminalamts vom vergangenen Oktober ergaben sich dabei leichte Verschiebungen: Damals hatte das BKA insgesamt 43 Menschen als rechtsextreme Gefährder eingestuft und 688 weitere als radikalislamische Gefährder. Die Zahl der Linksextremen lag auch damals schon niedrig.

Allein in Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der rechten Gefährder seit vergangenem Oktober von 15 auf 17 gestiegen. Das sagte ein Sprecher des NRW-Innenministeriums der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung.

Nach oben Link kopieren

Wie reagieren Politik und muslimische Verbände?

Die Bundesregierung dankte den verantwortlichen Behörden. Regierungssprecher Steffen Seibert wertete die Festnahmen als Erfolg. Die Bundesregierung betrachte es als ihre Aufgabe, "die freie Religionsausübung in diesem Land zu schützen".

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte der Süddeutschen Zeitung, es sei ein "großer Erfolg", dass die Tatverdächtigen rechtzeitig entdeckt worden seien. Der Minister kündigte an, die Sicherheitsüberprüfung von Mitarbeitern in Polizei und Behörden zu verschärfen, um "den öffentlichen Dienst von Extremismus frei zu halten."

FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser sagte, die Festnahmen hätten deutlich die akute Gefahr rechtsmotivierter Anschläge gezeigt. Er forderte, "die Schutzstandards für gefährdete Objekte wie religiöse Einrichtungen deutschlandweit einheitlich zu gestalten".

Die Türkisch-Islamische Union Ditib verlangte einen konsequenten Schutz von Muslimen in Deutschland. Die Gefahr sei real. Es sei enttäuschend, dass die Mehrheit schweige, dass Zeichen der Solidarität und ein "gesellschaftlicher Aufschrei" bisher ausblieben, teilte der Islam-Dachverband mit.

"Die Angst der Muslime ist greifbar und real", sagte Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, dem Bayerischen Rundfunk. Das Einstehen für Minderheiten sei der Lackmustest, der zeige, wie ernst man es mit Demokratie und Freiheit meine.

(Mit Material aus den Nachrichtenagenturen dpa, AFP und KNA)

Nach oben Link kopieren