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Jahresrückblick mit Dieter Nuhr Das reicht nuhr leider nicht

Dieter Nuhrs Jahresrückblick in der ARD geriet vor allem zum Rückblick auf sich selbst. So nutzte er die Sendung, um lauter alte Sprüche zu recyceln - und ein für alle mal zu zeigen, wo er steht.
Dieter Nuhr: "Ich hatte noch nie so oft das Gefühl, die hamse nicht mehr alle"

Dieter Nuhr: "Ich hatte noch nie so oft das Gefühl, die hamse nicht mehr alle"

Foto: Thomas Ernst/ rbb/ SWR

Wenn man sich bemüht, lässt sich auch Gutes an Jahresrückblicken entdecken: Sie zeigen uns zig Interpretationen der vergangenen zwölf Monate. Auf dass wir uns irgendwo finden zwischen der routiniert satirischen Version von Frontal 21 vergangene Woche, der Fassung von Sandra Maischberger am Mittwochabend, in der vor allem VW-Chef Herbert Diess erklärte, wie harmlos SUV eigentlich sind, oder eben: Dieter Nuhrs Blick auf die Welt.

Also, wie war 2019 denn so aus seiner Sicht? Jetzt, da er seit Januar gar wöchentlich in der ARD auftritt?

"Es war kein dolles Jahr - es war: möh."

"Das ganze Jahr bestand aus Verboten, Shitstorms, Hysterie, Panik."

"Ich hatte noch nie so oft das Gefühl, die hamse nicht mehr alle."

"Wir leben in narzisstischen Zeiten, der Mensch sieht sich gerne als Held."

"Es war das Jahr des allgemeinen Realitätsverlusts."

Kaum verbrämt war die Sendung damit strikt autobiografisch . Es ging weniger darum, was das Jahr fürs Land, die Welt bedeutet haben könnte, sondern was 2019 mit ihm selbst, Nuhr, gemacht hat. Nicht nur recycelte er relativ schamlos ganze Absätze seines Programms von Januar bis zur letzten Sendung Ende November. Seine Stammklientel dürfte gegähnt haben. Und alle anderen wegen seiner, nun ja, "Witze" über gegenderte, also "von oben verordnete geschlechtslose Sprache": "Verwaltungsschriftverkehr", "Verwaltungsschriftversie", jahaa, da blieb kein Auge trocken. Aber für analytische Satirentiefe sucht man sich sowieso andere.

Bisschen Böller, bisschen Unisextoilette

Vor allem aber schien es, als müsste er dringend noch etwas erledigen. Und so rumpelte er zwischen zwei Gleisen hin und her: hier die übliche Kundschaft bedienen mit leicht verdienten Kloppern, bisschen Sprach-Bashing, bisschen Unisextoilette, bisschen Silvesterböller-Verbot, bisschen Medienblase; und dort eindeutiges Positionbeziehen - gegen die AfD, für "Fridays for Future". Nach dieser Sendung kommt die ARD sicher nicht auf die Idee, ihn rauszuschmeißen, wie es jüngst Kollege Uwe Steimle beim MDR widerfuhr.

Womit wir wieder beim Autobiografischen wären.

Klar, es gab gefühlt einen halben Satz zur SPD, drei Sätze zu Kevin Kühnert, anderthalb zu Andreas Scheuers Mautmist, einen halben über Merkels Zittern, einen langen über Grünen-Co-Chef Robert Habeck ("Der ist alles zwischen Jens Spahn und Sahra Wagenknecht") und 23 über den Zustand der Bundeswehr samt außenpolitisch-militärischer Position der Republik.

Aber vor allem: immer wieder jene Passagen, die so klangen, als wolle hier jemand ein für alle mal zeigen, wo er stehe. Dass er sich nicht gemein mache mit Verschwörungsschwurblern, Antidemokraten, Klimaskeptikern, Hatern im Internet. Nuhr erzählte von Angriffen, er möge verrecken - und von der Grünenpolitikerin Renate Künast, die vor Gericht zu hören bekam, Beschimpfungen wie "Fotze" seien eine sachliche Feststellung, keine Herabsetzung. Der Hass im Internet sei Radikalisierungstreiber, und wenn sich die Ränder radikalisierten, "igeln sich die Menschen in der Mitte ein".

Sinnieren über die Ernte der AfD

Und dann zitierte Dieter Nuhr AfD-Mann Björn Höckes Sätze über "Volkstod" und "Volksaustausch", der verhindert werden müsse, über "wohltemperierte Grausamkeiten", die dazu gehörten. "Das sind Originalzitate von einem, der bei der Landtagswahl in Thüringen 23 Prozent geholt hat", sagte Nuhr. "Wenn ich Adolf Hitler wäre, würde ich den Mann wegen Urheberrechtsverletzung verklagen." Die AfD mit ihren "Wir sind das Volk"-Rufen liege laut Umfragen nur bei 15 Prozent - sie dächten wohl: "Wer uns nicht wählt, gehört auch nicht zum Volk - damit hat auch die NSDAP argumentiert". Das wäre komisch, so Nuhr, "wenn es nicht so gefährlich wäre".

Dass sich die Empörung der AfD nach dem Anschlag in Halle auf die Synagoge (ohne den Mord im Döner-Imbiss zu erwähnen) in Grenzen gehalten habe, sei kein Wunder: "Die Täter waren ja keine Migranten". Aber "Die Zeiten, wo das bei Wählern schlecht ankommt, sind vorbei", das sei "unfassbar". "Was die AfD gesät hat, konnte Gott sei Dank nicht geerntet werden."

Bloß schnell raus aus der ganzen Greta-Nummer

Nur die Greta-Sache fehlte noch: "Verstehen sie mich nicht falsch. Ich zweifle nicht am Klimawandel, auch nicht an der Dringlichkeit, sondern daran, wie einige das lösen wollen", sagte er - die Witze, die er seit Monaten über die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg macht, waren ihm um die Ohren geflogen; auch weil Satire sich traditionell an jenen abarbeitet, die Macht haben - oder mindestens Verantwortung für Missstände. Nicht an 16-Jährigen.

Es war, als wollte er dringend aus dieser Nummer raus: "Ich bin froh, dass es Greta gibt, das meine ich ohne Ironie." Nur das mit den künftigen Versorgungskriegen und Wanderungsbewegungen, das hätten die "Fridays-for-Future"-Aktivisten nicht im Blick. Sprach's, als seien alles nur Kinder.

Für 2020 könnte ihm das ja mal jemand erklären. Und dabei gleich auch, wieso Blackfacing rassistisch ist und wieso grob die halbe Bevölkerung beim generischen Maskulinum nicht gemeint ist. Er sagte selbst: "Es gibt kein 'Wir' - wer soll das sein?" So schwer kann's von da aus nicht mehr sein.