Björn Höcke ist so zufrieden mit sich, dass er am Wahlabend in Erfurt schon über die Zukunft fantasiert. "Bei der nächsten Wahl werden wir die absolute Mehrheit holen", ruft er am Sonntagabend auf der Wahlparty der AfD in einem Erfurter Gasthaus seinen jubelnden Anhängern zu. Die erste Umarmung des Thüringer Nationalisten und AfD-Spitzenkandidaten gilt dann Andreas Kalbitz, dem brandenburgischen Landesvorsitzenden. 

Das Thüringer Landtagswahlergebnis von mehr als 23 Prozent für die AfD ist das des Flügels, jenes von Höcke gegründeten Netzwerks der Nationalisten in der AfD, bei dem der Bundesverfassungsschutz Anhaltspunkte dafür sieht, "dass es sich um eine extremistische Bestrebung handelt" und es deshalb beobachtet. "Immer extremistischer" werde der Flügel, sagte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang vor Kurzem. Höcke ist das Gesicht des Flügels, der Brandenburger Kalbitz der Koordinator im Hintergrund. Die Nationalisten dominieren die ostdeutschen Landesverbände der AfD. Auch die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen (27,5 Prozent) und Brandenburg (23 Prozent) sehen sie als ihre Erfolge. "Im Osten geht die Sonne auf", sagt Höcke noch – ein Hinweis an die Parteikollegen im Westen Deutschlands, wo die AfD bei den vergangenen Wahlen Ergebnisse um die 13 Prozent erzielte.

Bekommt der Flügel um den völkischen Exzentriker nach den drei Ostwahlen nun mehr Macht, auch in der Bundesparteiführung?

Die absolute Mehrheit, von der Höcke fantasiert, ist jedenfalls weit weg. Im Osten dürfte die AfD ihr Wählerpotenzial vorerst ausgeschöpft haben. In Thüringen zog sie viele Nichtwähler an – mit ihrem "patriotisch-solidarischen Kurs", wie Höckes Stellvertreter, der Parlamentarische Geschäftsführer Stefan Möller sagt. Fast die Hälfte der 200.000 bisherigen Nichtwähler stimmte für die AfD. Doch dass sie das auch in Zukunft tun, ist alles andere als sicher, wie auch Möller selbst sagt: "Die Parteibindung im Osten ist gering."

Die Ost-AfD will jetzt in die Parteispitze

Die völkische Denke des Björn Höcke und seine umstrittene Persönlichkeit hat die Wähler allerdings nicht abgeschreckt: Die Thüringer wählten AfD, obwohl der Nationalist so deutlich wie kein anderer in der Partei demokratische Prinzipien verächtlich macht, Minderheiten herabwürdigt und Deutschland in eine ethnisch homogene Gesellschaft wandeln will. Auch die Warnung des obersten Verfassungsschützers ändert nichts an der Tatsache. Und es war offenbar auch egal, dass Höcke nicht nur von Medien und Forschern, sondern auch innerparteilich kritisch gesehen wird, wie ein Appell von 100 Funktionären zeigte, die im Sommer seine Auftritte öffentlich als egozentrisch bemängelten. "Thüringen ist resistent gegen Schmutzkampagnen", befindet der Abgeordnete Möller, der im Gewühl der Erfurter Party befragt wird. "Wir sind vor der CDU gelandet, allen Unkenrufen zum Trotz", ergänzt Torben Braga, Mitglied im Landesvorstand und Landtagskandidat, der überwältigt wirkt: "Unglaublich."

Es gibt, umgekehrt betrachtet, aber auch keinen positiven Höcke-Effekt: Im AfD-Kernland Thüringen kam die AfD an diesem Wahlabend nicht über den ostdeutschen Schnitt hinaus: Auch in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Brandenburg war sie bei Wahlen schon vor der CDU gelandet, auch in Sachsen-Anhalt wurde sie zweitstärkste Kraft. Das AfD-Rekordwahlergebnis hält immer noch Sachsen mit 27,5 Prozent. Auch sind Höckes persönliche Umfragewerte schlecht: In seinem Wahlkreis verfehlte er zudem das Direktmandat deutlich. Nur sechs Prozent der Thüringer können sich ihn als Ministerpräsidenten vorstellen, weit weniger als die Partei Stimmen erhielt. Selbst 26 Prozent der AfD-Wähler halten Ministerpräsident Ramelow für einen guten Regierungschef. "Das hält die Leute aber nicht ab, die AfD zu wählen, weil sie wollen, dass bestimmte Themen wie Migration im Landtag thematisiert werden", sagt der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz. "Dafür nehmen sie in Kauf, von Höcke vertreten zu werden." Umfragen zeigen: AfD-Wähler nannten Zuwanderung, Innere Sicherheit und die Förderung von Ostdeutschland als wichtigste Themen. 

Klar ist: Das Selbstbewusstsein der ostdeutschen AfD ist mit dem Thüringer Wahlabend weiter gestiegen. Auf dem Bundesparteitag der AfD Ende November wird ein neuer Bundesvorstand gewählt und die Ost-Landesverbände wollen dann einen Vertreter an die Parteispitze schicken. Im Gespräch als Co-Chef an der Seite des bisherigen AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen ist der Görlitzer Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla.