Eine Ahnung, dass sie sich in Thüringen eines Tages nicht mehr zu Hause fühlen könnte, bekam Medina Yilmaz zum ersten Mal an einem Wintertag vor sechs Jahren. Es war nach 22 Uhr, die Nachbarin in der Wohnung unter ihr hatte die Musik voll aufgedreht. Yilmaz, geborene Berlinerin, wollte schlafen. Sie rief die Polizei, um sich zu beschweren. Einer der beiden Beamten, die erschienen, nahm freundlich ihre Beschwerde auf. Der andere aber starrte ihr, als sein Kollege gerade nicht hinsah, ins Gesicht, formte mit den Lippen lautlos das Wort "Scheiß...". Den Rest konnte sie nur erahnen. Klar war nur: Dass sie als Frau mit Migrationshintergrund persönlich gemeint war.

"Da wurde mir klar: Wenn mir was passieren würde, würde mich dieser Mann nicht beschützen", sagt Yilmaz heute. In dem Moment begann ihr Vertrauen in die Thüringer Polizei zu wanken. Und ein Stück weit ihr Vertrauen in den Rechtsstaat.

Medina Yilmaz ist eine politisch aktive Frau. Frühere Mitarbeiterin in einem Thüringer Ministerium, ehrenamtlich engagiert, Mitglied bei den Grünen. Den Abend der Landtagswahl verbrachte sie auf der Party ihrer Partei in Erfurt. Robert Habeck war gekommen, Katrin Göring-Eckardt, auch das ZDF war da. Yilmaz aber konnte nur fassungslos auf den Bildschirm mit dem Ergebnis starren: 23 Prozent für die AfD. "Ab jetzt", dachte sie an diesem Abend, "wird alles schlimmer".

Wie Yilmaz ging es nach den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg vielen nicht-weißen Menschen in Deutschland. Jene, für die ein Viertel der Wählerstimmen für eine rassistische Partei nicht einfach nur unangenehm ist, sondern eine persönliche Bedrohung. Eine Lehrerin berichtete auf Twitter, wie verunsichert ihre Klasse sei, Schüler hätten sie am Tag nach der Wahl gefragt: "Frau Jutschu, wenn die AfD regiert, werden wir dann rausgeschmissen?" "Ich bin hier geboren, aber mein Vater nicht. Er hat aber einen deutschen Pass. Muss er trotzdem gehen?" Die Schleswig-Holsteinische Landtagsabgeordnete Aminata Touré twitterte: "Mir schreiben grade viele Menschen, was für eine Angst sie packt durch ein solches Wahlergebnis."

Auswandern wegen der AfD?

Auch Medina Yilmaz kennt diese Angst, nicht erst seit der jüngsten Wahl. "Natürlich habe ich mich schon gefragt: Wenn es einmal so weit ist, wie damals mit den Juden – wo gehe ich dann hin?", sagt Yilmaz. Eine Zeit lang habe sie mit dem Gedanken gespielt, Deutschland dann zu verlassen. Nach Neuseeland zu gehen. Ein grünes Land, idyllisch, friedlich. Dann tötete der Attentäter von Christchurch 51 Menschen. Damit war auch die Option vom Tisch.

"Rassismus", sagt Yilmaz, "gibt es überall auf der Welt".

Eine Woche nach der Wahl steht Yilmaz in der Eingangshalle des Erfurter Hauptbahnhofs. Eine Frau von 37 Jahren, die schwarzen Haare streng nach hinten gebunden, randlose Brille.

Sie habe nicht viel Zeit, hatte sie am Telefon gesagt. In zwei Tagen hat sie eine Konferenz in Berlin, soll auf einer Veranstaltung zum Thema "30 Jahre Friedliche Revolution" dolmetschen, das muss sie noch vorbereiten. Doch für einen Spaziergang durch das vernieselte Erfurt reicht es.

Medina Yilmaz redet schnell. Und viel. Reiht, während sie einen Schritt vor den anderen setzt, Anekdote an Anekdote, immer eingerahmt von einer ihrer Ansichten oder Theorien. Zwischendurch grüßt sie Menschen links und rechts. Den Verkäufer im Dönerladen, den Künstler vor seinem Lieblingscafé, die ältere Dame, die sich bei "Omas gegen rechts" engagiert. Sie ist gut vernetzt in Erfurt. Und keine Frau für einfache Erklärungen.