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Syrien-Gespräche
"Die Machtverhältnisse haben sich deutlich geändert"

In der aktuellen Runde der Syrien-Gespräche in Genf habe sich die Ausgangslage deutlich geändert, sagte der Nahost-Experte Günter Meyer von der Universität Mainz im Deutschlandfunk. Das Regime habe seine Position deutlich gestärkt. Damit sei eine politische Lösung - mit einem Präsidenten Assad - in Reichweite. Aber: "Es steht und fällt mit der Trump-Regierung."

Günter Meyer im Gespräch mit Jasper Barenberg | 23.02.2017
    Ein Banner mit dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad hängt in Aleppo von einem zerstörten Gebäude.
    Ein Banner mit dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad hängt in Aleppo von einem zerstörten Gebäude. (AFP / LOUAI BESHARA)
    Meyer betonte, das Regime habe mit der Unterstützung Russlands und des Irans seine Position deutlich gestärkt. Insbesondere die Rückeroberung von Ostaleppo sei ein großer Erfolg. Ein Syrien mit Machthaber Baschar al-Assad an der Spitze sei deshalb das wahrscheinlichste Szenario.
    Nun sei entscheidend, ob der neue US-Präsident Donald Trump sein Wort halte. Würden die USA wie im Wahlkampf angekündigt gemeinsam mit Russland den IS bekämpfen und einen Präsidenten Assad befürworten, dann seien die Aussichten relativ gut, dass das Regime an der Macht bleibe.
    Die Alternative dazu seien ultrakonservative Dschihadisten. Meyer betonte, der Mythos von moderaten Rebellen sei längst widerlegt. In Ostaleppo und anderen Regionen hätten die Nusra-Front und andere Dschihadisten die Menschen als Schutzschilde missbraucht und ihre Lebensgrundlagen zerstört. "Für die Menschen war es tatsächlich eine Befreiung", sagte der Politologe mit Blick auf die Rückeroberung durch das Regime. Die Mehrheit der syrischen Bevölkerung wolle lieber einen Präsidenten Assad.
    Meyer ergänzte, aus seiner Sicht sei die Rettungsorganisation Weißhelme "vor allem ein Propagandainstrument" der Opposition, ebenso wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Es ist der inzwischen vierte Versuch, die Gewalt in Syrien zu stoppen oder zumindest ein wenig einzudämmen: Ab heute wird in Genf unter dem Dach der Vereinten Nationen wieder über einen Weg aus dem verheerenden Bürgerkrieg verhandelt, nach inzwischen geschätzten 400.000 Toten und Millionen von Flüchtlingen. Mit einem Durchbruch rechnet niemand, fraglich ist vielmehr, ob es überhaupt die Chance auch nur auf kleine Fortschritte gibt. Ende Dezember hatten Russland, die Türkei und der Iran eine Waffenruhe für Syrien ausgehandelt, zu Gefechten kommt es trotzdem immer wieder, und wie Anna Osius berichtet, leben viele Menschen nach wie vor unter sehr schwierigen Lebensbedingungen.
    Und mitgehört hat Günter Meyer, an der Universität in Mainz leitet er das Zentrum für Forschung zur Arabischen Welt. Schönen guten Tag, Herr Meyer!
    Günter Meyer: Ich grüße Sie, Herr Barenberg!
    Barenberg: Die letzte Runde der Gespräche in Genf, unter UN-Vermittlung, ist ja sang- und klanglos gescheitert. Spricht irgendetwas aus Ihrer Sicht dafür, dass es in Runde vier jetzt anders werden könnte?
    Meyer: In Runde vier haben sich die Machtverhältnisse deutlich geändert. Das heißt, das Regime mit Unterstützung von Russland, mit Unterstützung des Iran hat erheblich seine Position gestärkt, gerade auch die Rückeroberung von Ostaleppo. Das war ein riesiger Erfolg, auch nach der Waffenruhe, die jetzt durch Verhandlungen zwischen der Türkei auf der einen Seite und vor allem Russland auf der anderen Seite zustande gekommen ist. Diese Waffenruhe ist zwar leicht brüchig, aber immerhin hat während dieser Zeit das Regime weiter seine Stellung ausbauen können gegen die radikalen Islamisten, gegen die Nusra-Front insbesondere. Denn die Nusra-Front ist nicht eingeschlossen in diese Friedensvereinbarung.
    Barenberg: Herr Meyer, wenn das so ist und Assad so gestärkt ist mithilfe von Russland und ja auch dem Iran unter anderem, da würden viele jetzt sagen: Das spricht eigentlich dafür, dass dieser Krieg noch jahrelang weitergehen wird. Ist das auch Ihre Einschätzung, dass das eine der Folgen ist dieser Machtverschiebung, von der Sie gesprochen haben?
    "Moderate Rebellen? Ein Mythos, der lange widerlegt ist"
    Meyer: Das kommt darauf an, wie man sich eine politische Lösung dieses Konfliktes vorstellen kann. Die Vision, die gegenwärtig die größten Chancen hat, ist tatsächlich, dass das weiter sich verstärkende Regime und die Wiederherstellung der Macht von Baschar al-Assad zu einer politischen Lösung führen kann. Es steht und fällt alles mit der USA-, mit der Trump-Regierung: Wie wird sie sich entscheiden? Trump hat ursprünglich gesagt, wir wollen keinen Regimewechsel mehr, die Politik von Obama ist gescheitert. Das heißt, danach dürfte er eigentlich nichts dagegen haben, dass Baschar al-Assad an der Macht bleibt. Er will gemeinsam mit Russland gegen den Islamischen Staat kämpfen, auch das ist sehr zu begrüßen und wird weiter zur Stärkung von Baschar al-Assad führen. Das heißt, wenn Trump zu seinen Versprechungen steht, dann sind die Aussichten relativ positiv dafür, dass Baschar al-Assad – immerhin der legitime Herrscher, der von der Bevölkerung gewählt ist – an die Macht kommt, dass er seine Macht wieder zurückerobert. Die Alternative, die Opposition, sprich: ultrakonservative Dschihadisten, Terroristen übernehmen die Macht. Moderate Rebellen? Das ist ein Mythos, der lange widerlegt ist. Wir haben es mit extrem brutalen Dschihadisten hier zu tun, das wäre die Alternative zu einem Assad-Regime. Und wenn wir uns anschauen, dass mittlerweile etwa drei Viertel der syrischen Bevölkerung unter der Kontrolle des Regimes lebt und dieses Regime wesentlich lieber hat als das, was von dschihadistischer Seite droht, dann wäre hier durchaus eine politische Lösung möglich.
    Barenberg: In dem Beitrag von Anna Osius hat ein Syrer gerade gefragt: Wer hat eigentlich die Interessen der syrischen Bevölkerung bei diesen ganzen Gesprächen in Genf im Auge? – Würden Sie sagen, für Assad trifft das zum Teil zu? Die meisten würden ja sagen, er hat nur seine eigene Macht im Auge.
    Meyer: Für Assad trifft es auf jeden Fall zu, was die Mehrheit der Bevölkerung anbelangt. Schauen wir uns die Gebiete an, die von den Dschihadisten kontrolliert werden, wo die Bevölkerung im Wesentlichen als Schutzschild genutzt wird … Wir haben immer nur gehört gerade beim Kampf um Ostaleppo: Das böse Regime, mit Fassbomben, vernichtet seine Zivilbevölkerung. Dass der Osten von Aleppo von Dschihadisten erobert worden ist, dass die Schulen geschlossen worden sind, dass alle Arbeitsstätten, Fabriken, Werkstätten im Wesentlichen geplündert worden sind, die Maschinen in die Türkei geschafft worden sind, damit die Bevölkerung verelendet und umso mehr von den Dschihadisten abhängig ist, all das sind Dinge, die normalerweise in den Medien nicht geäußert werden, die jetzt nach der Eroberung in zunehmendem Maße in den Vordergrund treten. Das heißt, für die Menschen in Ostaleppo war das tatsächlich eine Befreiung, und vor dem Hintergrund: Eine politische Lösung, eine friedliche Lösung kann nur mit dem Regime, was gegenwärtig an der Macht ist, garantiert werden.
    Barenberg: Aber verstehe ich Sie richtig: Sie haben Zweifel an dem, was die allermeisten Beobachter ja für gegeben halten, nämlich dass das syrische Regime mit seinen Fassbomben, mit seiner Hungerstrategie, mit seiner Belagerungsstrategie, seiner militärischen Belagerungsstrategie Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen die eigene Bevölkerung begangen hat?
    "Diese Weißhelme sind vor allem Propagandainstrumente"
    Meyer: Schauen Sie doch bitte mal rüber in den Irak. Rückeroberung von Ramadi zum Beispiel geschah, nachdem die USA 80 Prozent der Stadt zerbombt hat. Was gegenwärtig in Mossul läuft, wo jegliche Presse zensiert wird, wo keine Zahlen über Opfer vorliegen, läuft genau darauf hinaus. Das heißt, die Situation ist: Dort sind die guten Amerikaner, die den bösen Islamischen Staat bekämpfen, und dabei muss man eben Opfer unter der Zivilbevölkerung in Kauf nehmen. Was wir in Aleppo hatten: Das böse Regime, was die guten Menschen, die Zivilbevölkerung im Osten bekämpft. Dass dies aber zum weitaus überwiegenden Teil Menschen gewesen sind, die als Schutzschilde von der Nusra-Front, von den Dschihadisten genutzt worden sind, das war die Lesart, die wir in den westlichen Medien gehört haben. Und gerade eben der Hinweis auf die Weißhelme: Diese Weißhelme sind vor allem Propagandainstrumente, die in der Lage sind, wunderbar Videos zu dokumentieren. Diese Videos – und da gibt es zahlreiche Beispiele – werden dann immer wiederholt, in Abständen von ein paar Wochen, und jeweils für – gerade auch in Aleppo war das der Fall – die Brutalität des Assad-Regimes eingesetzt. Das heißt, es ist ganz wichtig, dass die Medien eben nicht nur auf die Videos, auf die Bilder zurückgreifen, die von den Weißhelmen geliefert werden, genauso die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London ist im Wesentlichen eine Propaganda-Organisation der Assad-Gegner. Aber die liefern Informationen und die werden in den Medien übernommen.
    Barenberg: Frage zum Schluss, Herr Meyer: Die Opposition sagt ja, die Assad-Delegation kommt gar nicht, um über einen politischen Übergang überhaupt zu verhandeln. Sehen Sie so etwas wie die Bereitschaft des Regimes, sich zu öffnen und tatsächlich Reformen durchzuführen?
    Meyer: Das Regime besteht darauf, dass die Herrschaft von Baschar al-Assad wiederhergestellt wird. Und es ist gegenwärtig in einer so starken Position, dass es gute Chancen hat, dieses Ziel zu erreichen, während die Rebellen sich gegenseitig zerlegen, sich gegenseitig bekämpfen, die sind so geschwächt, dass sie eigentlich auch keine Konzessionen mehr machen, denn dann würde auch noch die letzte Unterstützung von Katar und Saudi-Arabien wegfallen. Also, vor dem Hintergrund kaum Chancen, wirklich hier einen Erfolg dieser Verhandlungen in Genf zu erreichen.
    Barenberg: Die Einschätzungen von Günter Meyer von der Universität Mainz. Ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch, Herr Meyer!
    Meyer: Gerne, Herr Barenberg!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.