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Infografik "Wohin dürfen Flüchtlinge reisen?"

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#faktenfuchs: "Heimaturlaub" für Flüchtlinge gibt es nicht

Die Meldung: In Baden-Württemberg seien seit 2014 rund 160 Flüchtlinge zum Urlaub in die Heimat gereist. Stimmt aber nicht: Flüchtlinge dürfen unter bestimmten Umständen zwar ins Ausland reisen, aber "Heimaturlaub" gibt es nicht. Von Bernd Eberwein

Seinen Ursprung hat der Begriff "Heimaturlaub" für Flüchtlinge in einem Antrag der AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag vom Juli dieses Jahres. Die AfD wollte in zwölf Fragen im Wesentlichen wissen: Wie viele anerkannte, aber auch abgelehnte Asylbewerber hätten seit 2014 eine Reise in ihr Heimatland angetreten und seien anschließend wieder in die Bundesrepublik zurückgekehrt?

Die Antwort des baden-württembergischen Innenministeriums: Es gibt 153 offiziell registrierte Fälle. In acht der insgesamt 33 vom Innenministerium abgefragten Städte und Landkreise sind zudem Fälle bekannt, die nicht genauer beziffert wurden. Ein Sprecher nannte gegenüber dem Bayerischen Rundfunk "rund 160 Rückreisen" ins jeweilige Herkunftsland. Von "Urlaub" spricht das Ministerium aber anders als die AfD nur in einem Fall und das kritisch: "Wenn anerkannte Schutzberechtigte trotz einer Verfolgung oder Bedrohung zu Urlaubszwecken wieder in ihr Heimatland reisen, stellt sich zu Recht die Frage nach der Schutzbedürftigkeit dieser Ausländer."

Außerdem sind die Zahlen noch aus einem anderen Grund mit Vorsicht zu genießen. Denn nicht alle Registrierten sind nur kurzzeitig in der Heimat. Heilbronn beispielsweise hat 20 Fälle gemeldet. Wie ein Sprecher der Stadt dem BR bestätigte, sind diese 20 anerkannten Asylbewerber - teilweise Familien mit Kindern - aber wieder dauerhaft in die Heimat zurückgekehrt. In der Liste des Innenministeriums tauchen sie fälschlicherweise auf.

Keine offizielle Statistik

Offizielle statistische Erhebungen über Aus- und Wiedereinreisen von Flüchtlingen und Asylbewerbern gibt es nicht. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erhebt diese Zahlen nicht. Auch das Bundesinnenministerium (BMI) hat keinen Überblick, wie viele Flüchtlinge davon betroffen sind, obwohl das Phänomen durchaus bekannt sei. Diese Zahlen erfassten die Länder, sagte BMI-Sprecher Johannes Dimroth. Eine BR-Anfrage beim bayerischen Innenministerium ergab aber: Auch dort werden solche Zahlen für Bayern nicht geführt.

Auslandsreisen in den meisten Fällen erlaubt

Grundsätzlich gilt: Reisen von Flüchtlingen sind nicht zwingend untersagt. Vielmehr hängen die grundsätzlichen Reiseoptionen vom Status des Asylbewerbers ab.

"Personen, die sich in Deutschland im Asylverfahren befinden, werden nicht an einer Ausreise gehindert", teilte eine Sprecherin des BAMF dem BR mit. Auch "Personen, denen nach Abschluss eines Asylverfahrens ein Aufenthaltstitel als Asylberechtigter, anerkannter Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter (…) erteilt wird, haben grundsätzlich das Recht, mit diesem Aufenthaltstitel auch Auslandsreisen zu unternehmen."

Heißt konkret: Egal, ob das Asylbewerberverfahren noch läuft oder bereits abgeschlossen ist - Auslandsreisen im Allgemeinen bleiben grundsätzlich nicht verwehrt.

Reisen ins Herkunftsland?

Heikel wird es nur dann, wenn es in das Herkunftsland geht. Bei Flüchtlingen in einem laufenden Asylverfahren würde "im Fall einer Rückkehr in ihr Herkunftsland (…) die Aufenthaltsgenehmigung erlöschen", so das BAMF.

Noch strenger werden Personen behandelt, deren Asylantrag negativ beschieden, denen aber eine sogenannte "Duldung" erteilt wurde: Das deutsche Aufenthaltsgesetz sieht hier vor, dass die Duldung schon mit der Ausreise aus dem Bundesgebiet - egal wohin - erlischt, "eine Wiedereinreise nach Deutschland wird damit schwierig oder gar unmöglich", laut der Behörde.

EU-Richtlinie überlagert deutsches Recht

Etwas anders verhält es sich mit anerkannten Flüchtlingen. Zwar ist auch hier im Asylgesetz geregelt, dass der Schutzstatus erlischt, "wenn der Ausländer freiwillig in das Land, das er aus Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder außerhalb dessen er sich aus Furcht vor Verfolgung befindet, zurückgekehrt ist." Doch nach einer EU-Regelung müssen hier Einzelfallprüfungen durchgeführt werden.

Konkret geht es nach BAMF-Auskunft um "Artikel 45 Abs. 5 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (Asylverfahrensrichtlinie)." Nach dieser können Reisen in den Verfolgerstaat zwar zu einer Aberkennung des Schutzstatus führen, sind aber nicht automatisch ein Erlöschungsgrund.

Krankenbesuch und Beerdigung ja, Urlaub nein

Das BAMF unterscheidet sogar explizit zwischen den Gründen für eine mögliche Heimreise: "Für einen nur vorübergehenden Aufenthalt können im Übrigen auch nachvollziehbare Gründe, etwa familiärer Art (schwere Erkrankung eines nahen Angehörigen etc.) vorliegen", teilt die Behörde mit. Das Bundesamt gehe "grundsätzlich davon aus, dass eine kurze Rückreise zur Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung, wie Teilnahme an einer Beerdigung, Besuch eines schwerkranken Familienangehörigen, kein Grund für einen Widerruf ist." Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), zeigte in einem Interview Verständnis für diese Haltung: "Es kann gewichtige Gründe geben, warum ein anerkannter Flüchtling für kurze Zeit in seine Heimat reisen will."

Anders die BAMF-Beurteilung des vieldiskutierten "Heimaturlaubs": "Handelt es sich jedoch um Reisen zu Urlaubszwecken, kann dies ein Indiz dafür sein, dass bei dem Flüchtling keine Furcht vor Verfolgung vorliegt. Hier kommt ggf. ein Widerruf oder eine Rücknahme gemäß § 73 Asylgesetz in Betracht."

Das medienkritische Blog Übermedien thematisierte in einem Beitrag von Stefan Niggemeier die mediale Eigendynamik dieses Themas. Durch die inflationäre und unbedachte Verwendung des Begriffs "Urlaub" in den "sogenannten Mainstreammedien" habe sich "der falsche Eindruck eines massenhaften Flüchtlings-Tourismus in die Heimatländer verbreitet".

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