17 weitgehend unbekannte Kommunalpolitiker aus Thüringen fordern: Ihre CDU möge "ergebnisoffene Gespräche" mit allen Parteien im Landtag führen. Das klingt harmlos und wäre bis vor wenigen Jahren wahrscheinlich nicht mal eine Meldung wert gewesen. Doch mittlerweile versetzt eine solche Forderung die Volkspartei CDU in Aufruhr. ALLE Parteien, wie es im Original des "Appells konservativer Unionsmitglieder" heißt, umfasst ja schließlich auch die AfD, die in Thüringen sogar deutlich mehr Stimmen geholt hat als die CDU. 

Nach der verlorenen Landtagswahl, bei der die CDU nur auf Platz drei gelandet war, hatte Landeschef Mike Mohring Gespräche mit dem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow angekündigt. Zwar hat die CDU die Tolerierung einer von Ramelow geführten Minderheitsregierung ausgeschlossen, am Ende könnte dennoch irgendeine Art von Zusammenarbeit stehen. Doch vor allem besonders konservative Christdemokraten sträuben sich dagegen und fragen sich, warum man dann nicht genauso gut auch mit der AfD reden könnte.

Bereits vergangene Woche hatte der stellvertretende thüringische CDU-Fraktionschef Michael Heym eine Zusammenarbeit mit AfD und FDP ins Gespräch gebracht. Völlig zu Recht, wie Angela Wanner findet, Mitglied im Landesvorstand der Frauen Union Thüringen und eine der 17 Unterzeichnerinnen des jetzigen Papiers. "Wir haben viele Wähler an die AfD verloren, deshalb müssen wir mit denen reden", sagt sie im Gespräch mit ZEIT ONLINE. Zwar möge man in der CDU den rechtsnationalen Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke nicht. Aber in der AfD-Fraktion gebe es auch "vernünftige Köpfe". Eine Koalition werden die Unterzeichner zwar nicht erzwingen können. Die eigentliche Intention des Appells ist aber ohnehin eine andere. "Die CDU muss sich wieder als breite Mitte aufstellen, also auch rechts von der Mitte. Das ist unser Ziel", sagt Wanner.

Die Bundespartei reagierte zwar prompt: CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak bezeichnete den Vorstoß der 17 Thüringer als "irre". Seine Partei habe dazu einst einen Beschluss auf einem Bundesparteitag gefasst. "Die Meinung der CDU hat sich nicht geändert. Punkt, aus, Ende der Durchsage", so Ziemiak. Aber bislang ist jeder noch so drastische Versuch gescheitert, die Debatte ein für alle Mal zu beenden.

Im Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Parteizentrale in Berlin, hat man natürlich kommen sehen, dass es nach den Wahlen im Osten solche Diskussionen geben könnte – im Prinzip laufen sie ja subkutan seit Jahren. Auch deshalb hatte man vor einem Jahr auf dem Parteitag in Hamburg eine Zusammenarbeit mit der AfD vorsorglich ausgeschlossen.

Dass so ein Beschluss nicht reichen würde, die gesamte Partei in ihrer Breite zu disziplinieren, wurde allerdings schon bald klar: Nur fünf Monate später, nach der Europawahl im Mai, schrieben Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer, Vizechefs der CDU-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, eine achtseitige "Denkschrift". Die CDU habe Anhänger verprellt, indem sie "multikulturellen Strömungen linker Parteien und Gruppen" nicht ausreichend entschieden entgegengetreten sei, hieß es darin. Damit die CDU wieder stärker werde, müsse es "gelingen, das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen". Thomas legte in einem Zeitungsinterview nach: "Wir sollten eine Koalition (mit der AfD, Anm. d. Red.) jedenfalls nicht ausschließen." Auch der ehemalige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, äußerte sich ähnlich.

Ein Affront, der die Parteiführung in Aufregung versetzte. Wenige Tage später formulierte der Parteivorstand eine deutliche Antwort: "Wer die AfD unterstützt, muss wissen, dass er damit bewusst auch rechtsradikalen Hass und Hetze, extreme Polarisierung und persönliche Diffamierungen in Kauf nimmt", hieß es darin. Gerade war bekannt geworden, dass der CDU-Politiker Walter Lübcke von einem Neonazi ermordet worden war. Der Tenor des CDU-Vorstands war mehr oder weniger: Die AfD hat mitgeschossen. Und das war schon die Kompromissversion. Das Schreiben damals hätte auch schärfer ausfallen können, sagte ein Präsidiumsmitglied ZEIT ONLINE.

Im Zweifelsfall würde man gegen Mitglieder, die sich dieser Direktive nicht fügen wollen, mit Parteiausschlussverfahren vorgehen, wurde intern gedroht. Der Fraktionschef der CDU Bremen, Thomas Röwekamp wiederholte das nun öffentlich. "Ich erwarte, dass die #CDU #Thüringen diese Person aus der Partei ausschließt", schrieb er mit Blick auf den Thüringer Fraktionsvize Heym. "Zusammenarbeit mit einem Faschisten von der #AfD verstößt gegen die Beschlüsse der Partei, ist parteischädigendend, ist vor allem aber antidemokratisch und ein Verrat an unseren Werten …"

Biografien, Wende-Erfahrung, Werte

Tatsächlich verpufft die disziplinierende Wirkung dieser Maximaldrohung bislang. Anfang September wurde ein Diskussionspapier aus dem Kreisverband Harz bekannt. Darin heißt es, Bündnisse müssten sich "ausschließlich daran orientieren, mit welchen Parteien die eigene Politik und der mehrheitliche Wille der Wähler in Sachsen-Anhalt tatsächlich umgesetzt werden kann". Wieder so eine kleiner Tabubruch, wieder eine hilflose Reaktion der Bundesspitze.

Parteitagsbeschlüsse, Drohungen und scharfe Abgrenzungsbeschlüsse des Vorstands – die CDU-Spitze habe ihren Werkzeugkoffer weitgehend ausgeschöpft, sagte schon damals ein führender Mitarbeiter aus dem Adenauer-Haus. Aus irgendeiner Ecke der Volkspartei werde sich immer jemand finden, der sich auf Kosten der Parteilinie profilieren wolle. Das ließe sich schlichtweg nicht unterbinden.

Wer Christdemokraten aus dem Osten nach den Gründen für die Annäherung an die AfD fragt, stößt fast immer auf dieselben Argumente: Die Besonderheiten ostdeutscher Biografien, die für viele traumatisierende Wende-Erfahrung, das fehlende Verständnis der Parteiführung in Berlin. Sich von der AfD abgrenzen, sie aber nicht ausgrenzen, sei die Maxime, sagt ein Funktionär aus Sachsen-Anhalt. Gerade in der Kommunalpolitik, wo über Spielplätze, Schultoiletten und Schlaglöcher entschieden wird, seien CDUler offener für sachbezogene Zusammenarbeit mit der AfD. Die scharfen Abgrenzungsbeschlüsse aus dem CDU-Bundesvorstand dagegen oder die Weigerung der anderen Parteien, im Bundestag einen Parlamentsvizepräsidenten der AfD zu wählen – "das versteht hier keiner mehr", klagt ein anderer Christdemokrat aus dem Osten. Dieses Verhalten führe vielmehr zu einer Solidarisierung mit der AfD.