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Das stille Aus der Identitären: Warum die AfD die rechten Hipster nicht mehr braucht

Auf dem AfD-Parteitag wird über eine Zusammenarbeit mit Identitären debattiert – dabei sind die rechten Hipster längst überflüssig.
Foto: Patrick Pleul/dpa

Dieser Beitrag wurde am 28.11.2019 auf bento.de veröffentlicht.

Die Liebe zwischen AfD und den Identitären keimt schon länger. Besonders dann, wenn es um Björn Höcke geht. Höcke, amtlich bestätigter Faschist und Thüringer AfD-Chef, lud eines Tages auf seinem Instagramkanal ein Foto mit einem parteiblauen Motorrad hoch. Prompt himmelte ihn ein führender Identitärer aus Sachsen auf seinem Telegram-Kanal an: "Wie stabil kann ein Mensch sein?"

Wenig später lud der Identitäre auch noch ein Video auf YouTube hoch, in dem er die Wahlplakate verschiedener Parteien analysierte. Für die meisten war Spott übrig – nur die AfD wurde gelobt. 

Die Identitären werden vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall geführt. Trotzdem stört sich die AfD bislang nicht daran, wenn die Gruppe die Nähe der Partei sucht: Identitäre helfen in den Büros von AfD-Politikern, verteilen Parteiflyer, sitzen mit Mitgliedern der Jungen Alternative zusammen. Vor allem in den ostdeutschen Bundesländern werben Mitglieder der Identitären immer wieder für die AfD. 

Allerdings stehen die Identitären auf einer Unvereinbarkeitsliste der AfD: Wer bei den Identitären Mitglied ist, darf nicht in die AfD. Die rechtspopulistische Partei fürchtet um ihr bürgerliches Antlitz.

Nun könnten Identitäre und AfD allerdings einen Schulterschluss vollziehen – auf dem AfD-Parteitag soll darüber entschieden werden.

Zwei Anträge wurden eingereicht, in denen sich der Parteitag mit der Unvereinbarkeitsliste auseinandersetzen soll (AfD-Antragsbuch ). Einmal soll entschieden werden, ob sie ganz gestrichen wird. In einem zweiten Punkt soll es darum gehen, ob nicht wenigstens die Identitären runtergenommen werden. Die Begründung: Die Identitären seien nur "junge Patrioten", heißt es im Antrag, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz hingegen sei "rein willkürlich und entbehrt jeder objektiven Grundlage". 

Tatsächlich gibt es Streit um die Arbeit des Verfassungsschutzes. Der Geheimdienst hat die Gruppierung mehrere Jahre lang beobachtet und sie im vergangenen Sommer dann als "gesichert rechtsextrem" eingestuft. Vor dem Verwaltungsgericht Köln klagten die Identitären gegen die Einstufung – und haben recht bekommen. Derzeit darf der Verfassungsschutz sie nur als "Verdachtsfall" führen und nicht rechtsextrem nennen (FAZ ). Trotzdem bezeichnete Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang die Identitären als "geistige Brandstifter", die anderen die Menschenwürde abstritten. (Süddeutsche Zeitung ).

Führende AfD-Politiker glauben, dass der Schulterschluss auf dem Parteitag nicht durchkommen wird. "Die An­trä­ge ha­ben mei­nes Er­ach­tens kei­ner­lei Chan­ce auf eine Mehr­heit auf dem Par­tei­tag, und das ist auch rich­tig so", sagt Par­tei­chef Jörg Meu­then dem SPIEGEL.

Vermutlich wären Identitäre mit Parteibuch auch weniger eine Frischzellenkur für die AfD – sondern nur eine lebenserhaltende Maßnahme für die Identitären selbst. 

Denn die selbsternannte Bewegung komme bereits wieder ins Stocken, sagt der Rechtsextremismusexperte Christian Fuchs. Gemeinsam mit seinem Kollegen Paul Middelhoff hat er das Buch "Das Netzwerk der Neuen Rechten"  über die Verflechtungen von Identitären und anderen neuen Rechten geschrieben. 

"Die Identitären haben seit 2018 massive Probleme, neue Leute für ihre Aktionen zu finden", sagt Christian. Einige einst führende Kader sind ganz ausgestiegen, andere hätten dem Aktionismus den Rücken gekehrt und sich Berufe im AfD-Umfeld gesucht.

Sogar der neurechte Vordenker Götz Kubitschek, der die rechten Hipster einst protegierte und das Netzwerk mit der AfD knüpfte, geht nun auf Distanz. In der Jugendbewegung seien zu viele Extremisten groß geworden, sagt Kubitschek in einem Interview, das habe die Gruppe "kontaminiert". 

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Auch die Beobachtung durch den Geheimdienst wirke sich auf das Miteinander der Identitären aus, sagt Rechtsextremismusexperte Christian: "In der Gruppe wächst die Verunsicherung, ob bei Treffen ein V-Mann des Verfassungsschutzes mit am Tisch sitzt." 

Noch vor zwei Jahren kreuzten die Identitären mit einem gecharterten Schiff, um Lebensretter an der Arbeit zu hindern (bento). Heute fehlt es an Nachwuchs wie Ideen für größere, provokante Aktionen. "Die Radikalisierung der Guerilla-Taktiken ist nicht mehr steigerbar und ist darum am Ende", sagt Christian. Er ist sich sicher:

Die AfD braucht die Identitären gar nicht mehr, um erfolgreiche Jugendarbeit zu leisten.

Christian Fuchs

Längst haben andere Gruppen die neurechte Jugendarbeit übernommen – allen voran das rechte Netzwerk "Ein Prozent" und "Zukunft Heimat", ein nationalistischer Gegenentwurf zu der "Fridays-for-Future"-Bewegung.

"Ein Prozent" beschreibt sich selbst als "Bürgernetzwerk", geführt wird es nahezu im Alleingang vom 27-jährigen Philip Stein. Stein ist Sprecher des Verbands "Deutsche Burschenschaft" und gut in der rechten Szene vernetzt. Über "Ein Prozent" schürt er Zweifel an der Demokratie in Deutschland oder finanziert rechte Rapper wie "Prototyp" und "Chris Ares", die in ihren Songs den Kampf gegen Migranten herbeitexten. 

Ganz ähnlich arbeitet der Verein "Zukunft Heimat". Er finanziert Erntedankfeste und Demos zum Schutz der Natur, tatsächlich geht es aber um Rassismus und Deutschtümelei. Am Wochenende planen Linksradikale eine Demo für den Kohleausstieg in der Lausitz – "Zukunft Heimat" organisiert die rechte Gegendemo. Der Tenor: "Heimat" geht vor Umwelt, also lasst mir meine Kohle! In Cottbus wurde gar im Fußballstadion für die "Zukunft-Heimat"-Demo geworben. 

Das verfängt: Den neuen neurechten Gruppen geht es um Emotionen, nicht um politische Inhalte. "Die meisten Parteien buhlen um junge Wählerinnen und Wähler mit progressiven Ideen", sagt Christian, ständig gehe es um Zukunftsthemen. "Aber es gibt auch unter jungen Menschen eine Gruppe, die Dinge gerne so belassen will, wie sie sind – und die sich von zu viel Fortschritt überfordert fühlt."

Während andere Parteien Gleichstellung, Geschlechterfragen und Klimapolitik durchdeklinieren, reiche es der AfD also, einen wenig politischen Gegenentwurf für all die Millennials zu finden, die sich dadurch nicht angesprochen fühlen. Dass es die gibt, zeigten die jüngsten Landtagswahlen im Osten. Bei den Millennials wurde die AfD oft stärkste Kraft (bento), und das ohne gezielte politische Angebote für junge Wählerinnen und Wähler zu machen.

Die Junge Alternative, die vom Verfassungsschutz beobachtete Parteijugend der AfD, arbeitet längst an einem Imagewandel, der genau darauf abzielt: weniger Politik, mehr Gefühl. 

Der Brandenburger JA-Chef erzählte jüngst dem "Tagesspiegel"  von Kneipenabenden und Kanutouren statt Politvorträgen und Podiumsdiskussionen: "Es geht darum, mit Gleichgesinnten Spaß zu haben." Sogar um einen eigenen Instagram-Auftritt habe man sich mittlerweile bemüht. 

Auf den Bildern grinsen Jugendliche in die Kamera, Kleinkinder werden in Anti-Merkel-Shirts gesteckt. Andere Bilder zeigen brandenburgische Dorfplätze im goldenen Sonnenlicht, auf einem geht ein Pärchen im Wald Pilze sammeln, den "Junge-Alternative"-Beutel in der Hand.

Die Ästhetik ist nicht unähnlich der Hipster-Anmutung, mit denen sich einst die Identitären im Netz schmückten.