Nachdem Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang Teile der AfD als "immer extremistischer" bezeichnet und die Partei zum Prüffall erklärt hat, hat sich die AfD nun zum Gegenschlag gewappnet: Um eine Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst zu verhindern, hat ein von ihr beauftragter Jurist ein Gegendossier erarbeitet. Der Staatsrechtler Dietrich Murswiek empfiehlt darin führenden Politikern der Partei, mehrdeutige und damit verfassungsrechtlich möglicherweise problematische Äußerungen klarzustellen. Unter den fast 500 vom Bundesamt für Verfassungsschutz  zusammengetragenen Zitaten aus Reihen führender AfD-Vertreter seien "eine erhebliche Anzahl" mehrdeutiger Äußerungen, für die er eine Klarstellung empfohlen habe, heißt es in einer ZEIT ONLINE vorliegenden Kurzanalyse Murswieks, die an diesem Donnerstag vorgestellt wird. 

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte in einem mehr als 400 Seiten starken Dossier aufgelistet, warum er in Teilen der AfD Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen sieht. Extremistisch ist eine Organisation laut Bundesinnenministerium, "wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie darauf abzielt, bestimmte Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen". Den nationalistischen Flügel der AfD und ihre Jugendorganisation Junge Alternative hatte der Inlandsgeheimdienst bereits Anfang 2019 als Verdachtsfälle eingestuft, die Partei als sogenannten Prüffall. 

Die von Murswiek empfohlene Klarstellung würde in eine Vorgehensweise münden, die bei der AfD oft zu beobachten ist: Parteifunktionäre erregen Anstoß mit dem, was sie sagen, auf Facebook oder anderswo schreiben. Nach Kritik beteuern sie, fehlinterpretiert worden zu sein, und versuchen sich in Rechtfertigung und Korrektur.

Die AfD-Führung sorgt sich darum, dass eine Beobachtung der Gesamtpartei durch den Verfassungsschutz sie Wähler und Mitglieder kosten würde. Seit der Bundesverfassungsschutz den Blick auf die AfD richtete, ging es in Umfragen lange Zeit bergab. Im Blick hat die AfD auch die Beamten in den eigenen Reihen, die im Falle einer Beobachtung durch den Geheimdienst als Staatsbedienstete weiter unter Druck geraten würden

Die AfD verteidigt sich daher in zwei Richtungen, zum einen nach innen: Handreichungen für die politische Kommunikation wurden formuliert, die Mitgliedern und Funktionären helfen sollten, dem Verfassungsschutz keine neue Angriffsfläche zu bieten. An der Basis stoßen sie allerdings auf wenig Gegenliebe, gerade einfache AfD-Mitglieder berufen sich auf die Meinungsfreiheit. Nach außen setzt die AfD-Verteidigung vor allem auf juristische Mittel: Zuerst erwirkte sie vor Gericht, dass sie nicht mehr öffentlich als Prüffall bezeichnet werden darf. Nun folgt juristisch die Stufe zwei: In einem Gegengutachten nimmt der Staatsrechtler Murswiek im Auftrag der Partei das Dossier des Verfassungsschutzes auseinander.

80 Prozent rechtlich falsch?

Darin hatte die Behörde 470 Meinungsäußerungen von AfD-Politikern oder AfD-Gremien bewertet. 400 ordnete sie als als verfassungsschutzrechtlich relevant ein, also als unvereinbar mit Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Der von der AfD beauftragte Jurist Murswiek kommt in seiner Analyse zu einem deutlich milderen Urteil: Nur "nur zu einem relativ kleinen Teil" seien die Aussagen von AfD-Funktionären problematisch: "Über 80 Prozent der Bewertungen des BfV halte ich für rechtlich falsch", sagt Murswiek.

Bei seiner Auswertung unterscheidet der Jurist dabei zwischen simplen Verstößen gegen Verfassungsgrundsätze (darunter Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit) und andererseits dem Bestreben, Verfassungsgrundsätze abzuschaffen. Verstöße, so argumentiert er, kämen bei allen Parteien vor. Es sei "falsch, sie ohne Weiteres als Ausdruck von Extremismus zu bewerten". Er bemängelt, dass der Verfassungsschutz in seinem Dossier den Unterschied verwische zwischen Verstößen und einer tatsächlich verfassungsfeindlichen Zielsetzung.

Die Verfassungsschützer argumentieren anders. Kritik an den politischen Verhältnissen an sich sei zwar noch kein Verstoß gegen den Demokratiegrundsatz, heißt es in dem Dossier. Jedoch sei die ständig wiederholte Kritik an demokratisch gewählten Repräsentanten eine "Verächtlichmachung politischer Verhältnisse". Somit könne man von Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen das Demokratieprinzip unserer Grundordnung ausgehen. Murswiek bewertet das als falsch: Die Verfassungsschützer schützen auf diese Weise die "etablierten Kräfte" der Politik und nicht die Verfassung, argumentiert er.