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Stefan Kuzmany

Linke und AfD Die neue Mitte

Wo ist die Mitte der Gesellschaft? In Thüringen beklagen die Wahlverlierer von CDU und SPD das Abwandern der Wählerinnen und Wähler an die Ränder. Tatsächlich stehen die beiden ehemaligen Volksparteien mittlerweile selbst am Rand.
Bodo Ramelow, Björn Höcke: Die Mitte ist nicht weg, sondern nur woanders

Bodo Ramelow, Björn Höcke: Die Mitte ist nicht weg, sondern nur woanders

Foto: JENS SCHLUETER/EPA-EFE/REX

Der ganz normale Bürger schaut einigermaßen verdutzt in die Kamera. Lange hat der TV-Reporter suchen müssen, um überhaupt Gesprächspartner zu finden, es ist nasskalt an diesem Wahlabend und allzu viele Thüringer gibt es ja sowieso nicht.

Aber man kann und soll ja nicht immer nur mit Politikern reden, man kann sich nicht nur gecastete Zuschauer fürs Publikumsgespräch ins Studio holen, man muss doch auch mal rausgehen, auch wenn da fast niemand ist, trotzdem muss man hin zum Bürger und zur Bürgerin auf der Straße. Einfach mal zuhören.

Was er denn von dem Wahlergebnis halte, will der Reporter wissen. Na ja, er habe ja gerade erst davon erfahren, sagt der Mann. Was er denn von der Möglichkeit einer Minderheitsregierung hielte, fragt der Reporter. Das hat der Mann nicht ganz verstanden. "Mindestregierung?"

Der Reporter erklärt es ihm. Da könne er nichts dazu sagen, sagt der Mann. Man müsse jetzt eben mal sehen, was dabei herauskommt. Vor den Wahlen werde ja immer viel versprochen, er wolle mal sehen, ob das dann auch eingelöst wird.

Die Mitte hat gesprochen

Man kann sich über diese schlichte Sicht auf die Politik lustig machen, haha, der weiß nicht mal, was eine Minderheitsregierung ist, aber das wäre falsch. Ich glaube: Hier hat die Mitte gesprochen. Und dann geht sie in aller Ruhe heim und wartet erst mal ab.

Mike Mohring, der redliche Wahlkämpfer von der CDU, hat um die Mitte gerungen und verloren. Die SPD, auch mal eine Mitte-Partei gewesen, spielt keine Rolle in Thüringen. Die bürgerliche FDP hat ihren Sprung über die Fünfprozenthürde allein dem Umstand zu verdanken, dass fünf oder sechs Wähler, die sonst vielleicht daheim geblieben wären, sich doch noch zur Stimmabgabe aufgerafft haben. Und die Grünen haben ihre viel beachtete Phase als bundesweite Volkspartei offenbar in so großer Geschwindigkeit durchschritten, dass sie in Thüringen nun ganz im Trend der anderen ehemaligen Volksparteien kein Bein auf den Boden brachten. "Links- und Rechtspopulisten zertrümmern bürgerliche Mitte", analysiert die "Bild"-Zeitung.

Das klingt, als wäre etwas verschwunden, als hätte sich die breite Mehrheit der Wählerinnen und Wähler einfach mal so in Luft aufgelöst. Tatsächlich sind sie aber noch da, die Wahlbeteiligung ist gestiegen, es sind also sogar mehr geworden. Die Mitte ist nicht weg. Sie ist jetzt nur woanders.

Das, was früher mal der Rand war, ist heute die Mitte in Thüringen. Und die Funktionäre der ehemaligen Mitteparteien stehen am Rand und sehen zu.

Fotostrecke

Der Wahlabend in Thüringen: Ein bisschen Jubel und viel Ratlosigkeit

Foto: Ralph Orlowski/ REUTERS

Rechtsextrem gewählt aus Überzeugung

Von links hat Bodo Ramelow die SPD zerstört. Ähnlich wie Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg hat er als überparteilicher Landesvater so sozialdemokratisch agiert, dass kaum jemand die echten Sozialdemokraten noch notwendig fand. Die Ramelow-Linke ist eine SPD mit anderem Etikett, eine harmlose Linke, die nicht mehr will als etwas sozialere Marktwirtschaft. Diese Erkenntnis scheint sich nach der Wahl auch bei der Landes-CDU durchzusetzen. Eine Tolerierung scheint wahrscheinlich, sogar eine Koalition nicht mehr unmöglich.

Besorgniserregend ist die neue Mitte der Rechten. In fast allen Altersgruppen haben die Thüringer Wähler die AfD zur stärksten Partei gewählt, nur den Rentnern ist es zu verdanken, dass sie es nicht auch im Gesamtergebnis wurde. Über ein Fünftel der Thüringer Wähler hat bewusst einen prominenten Rechtsextremen gewählt. Vor allem Männer im arbeitsfähigen Alter haben Björn Höcke ihre Stimme gegeben. Laut Umfragen haben 39 Prozent der AfD-Wähler die Partei nicht aus Enttäuschung über die anderen Parteien gewählt, sondern aus Überzeugung.

"Herr Höcke ist die Mitte der Partei", hat AfD-Chef Alexander Gauland am Wahlabend gesagt, ein bemerkenswertes Zitat. Der eitle Geschichtslehrer mit der faschistischen Rhetorik, der gern persönlich am Flughafen abgeschobenen Asylbewerbern ganz wie die NPD eine "gute Heimreise" wünschen würde, steht wie kein anderer für die enthemmte Radikalisierung der AfD. Ihm geht es längst nicht nur um Kritik an der Flüchtlingspolitik, er will ein anderes System. Vom Teddybär-Linken Ramelow ist keine Revolution zu erwarten. Höcke hat den Umsturz im Sinn.

Wenn Björn Höcke aber die Mitte der Partei ist, dann ist jede seiner künftigen Äußerungen der gesamten Partei zuzuschreiben. Dann kann man ihn nicht mehr abtun als etwas zu glühenden Nationalromantiker, dann spricht er, der Frontmann des extremen Flügels, künftig für die ganze AfD.

Das ist für viele die neue Mitte in Thüringen: Ein Faschist, der nicht trotz seiner Nazi-Rhetorik gewählt wurde, sondern ganz bewusst deswegen. Oder weil's egal ist, jedenfalls nicht schlimm.

Wenn Björn Höcke aber die Mitte der AfD ist - wer wartet dann noch an ihrem rechten Rand?