In den Fraktionen von Union, SPD und FDP wird über konkrete Wege zur Ablösung des AfD-Abgeordneten Stephan Brandner als Vorsitzender des Bundestagsrechtsausschusses nachgedacht. Brandner werden antisemitische Äußerungen vorgeworfen. Die Rede ist von einer „schnellen Lösung“, die bis zum Wochenende gefunden werden soll. Brandner weist die Vorwürfe zurück.
Der im Ruhrgebiet geborene Abgeordnete aus Thüringen hatte auf Twitter die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den Sänger Udo Lindenberg als „Judaslohn“ bezeichnet. Vorausgegangen war eine Attacke des Rocksängers gegen die AfD. „Wir brauchen keine rückwärtsgewandten Rassisten, Hetzer und menschenfeindlichen Brandstifter mehr in unserm schönen Land“, hatte Lindenberg nach der Wahl in Thüringen, wo die AfD 23,4 Prozent geholt hatte, auf Facebook gepostet.
„Brandner diskreditiert sich mit jeder solchen Äußerung weiter“, sagte Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, im Gespräch mit WELT. Als Ausschussvorsitzender sei er „nicht mehr tragbar“. „Wir werden die Frage der Abwahl von Ausschussvorsitzenden im zuständigen Geschäftsordnungsausschuss thematisieren.“
In der Unionsfraktion sei die Stimmung ähnlich, heißt es. Allerdings wollte die Fraktionsspitze am Montag nicht Stellung zu dem Thema nehmen. Zu vermuten ist, dass CDU, CSU und SPD versuchen, FDP, Linke und Grüne für ein gemeinsames Vorgehen zu gewinnen. Erkennbar soll aber ein Alle-gegen-die-AfD-Eindruck vermieden werden, durch das sich Brandner als Opfer stilisieren könnte. Darum wird betont, dass es sich ja nicht um den ersten Ausrutscher handele.
Brandner hatte vier Wochen zuvor eine Kurznachricht weiterverbreitet, in der ein Nutzer nach dem rechtsterroristischen Anschlag in Halle schrieb, dass es sich bei den dort getöteten Menschen um „Deutsche“ handele: „Warum lungern Politiker mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rum?“ Für das Weiterleiten dieser Kurznachricht hatte Brandner später um Entschuldigung gebeten. Seinen aktuellen Tweet verteidigt Brandner hingegen.
Der Vorwurf, der Begriff „Judaslohn“ sei „antisemitisch konnotiert“, sei „an den Haaren herbeigezogen“ und diene nur dazu, ihn und die AfD zu diskreditieren, so Brandner, der Rechtsanwalt ist. Bundestagsabgeordnete von Grünen, FDP und SPD hätten diesen „zugespitzten Begriff in der inhaltlichen Auseinandersetzung“ ebenfalls benutzt.
Die Absetzung eines Ausschussvorsitzenden ist in der Geschäftsordnung des Bundestags nicht vorgesehen. Offenkundig erwägt man in SPD und Union, eine Regelung zu beschließen, die rückwirkend gilt. Dazu müsste mutmaßlich eine Begründung formuliert werden, etwa „unqualifizierte Amtsführung“. Die Geschäftsordnung lässt sich mit einfacher Mehrheit ändern. Die AfD hatte zu Beginn der Legislaturperiode den Zuschlag für den Ausschuss bekommen und müsste im Fall einer Ablösung Brandners einen neuen Vorschlag unterbreiten.
Aus der FDP gibt es ebenfalls Forderungen nach einer Absetzung des AfD-Abgeordneten. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, die Äußerung zu Lindenberg sei „in unerträglicher Weise antisemitisch“. Der Bundestag müsse nun Möglichkeiten zu Brandners Abwahl schaffen.