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Sascha Lobo

S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Der Wahlausgang in drei Bildern

Offenbar fürchten die Deutschen den Veggie-Day in der Firmenkantine mehr als die Totalüberwachung des Internets. Diese und weitere netzpolitische Erkenntnisse aus der Bundestagswahl lassen sich am besten mit drei Fotos erklären.

Hinterher ist meistens alles klarer. Das ist gut. Klarheit kann aber auch heißen, dass Ungemütliches, Ungewünschtes, Ungeheures nicht mehr wegleugbar dasteht. Das ist auch gut. Aber schmerzhaft. Was das Wahlergebnis und die Ereignisse der Wahlnacht im Hinblick auf das Internet und die Spähaffäre bedeuten, lässt sich an drei ikonischen Bildern beschreiben, die im Netz kursieren.

1. Die schwarze Republik

Karte der Erststimmen-Ergebnisse (Screenshot): Merkelschwarzes Angeland

Karte der Erststimmen-Ergebnisse (Screenshot): Merkelschwarzes Angeland

Am Montag nach der Wahl gehörte das Bild zu den meistverbreiteten in sozialen Netzwerken: die Wahlkreise, eingefärbt nach der Partei der gewählten Direktkandidaten. Der Ostteil Berlins, Hamburg, Bremen, das Ruhrgebiet und ein paar weitere Wahlkreise sind farbig. Der Rest ist sehr schwarz. Gäbe es nur Erststimmen, mehr als 230 von 299 Abgeordneten wären von der Union. Das Bild übertrifft das Wahlergebnis an Eindrücklichkeit: Deutschland ist merkelschwarzes Angeland.

Das Schaubild allein zeigt, wie weltfremd rot-rot-grüne Gedankenspiele sind, trotz linker Mehrheit im Bundestag. Für das Netz bedeutet das: Die Bürger fürchten den Veggie-Day in der Firmenkantine mehr als die Totalüberwachung des Internets. Netzpolitisch Interessierte mögen sich die Handfläche an der Stirn wundschlagen, aber offenbar erschien der Umgang der CDU mit der Spähaffäre den Wählern angemessen. Das ist demokratisch zu akzeptieren, so schwer es fällt. Was nicht bedeuten darf, netz- und gesellschaftspolitisch zu resignieren, so schwer es fällt.

Denn das Freiheitsgefühl der Bürger wird durch vollständige Überwachung der digitalen Sphäre offenbar bisher nicht beschnitten. Die Freiheit dagegen schon. Es handelt sich um ein Crescendo-Problem, das von allein immer größer wird, schon weil durch neue Technologien mehr Daten von mehr Bürgern, Unternehmen und Institutionen ins Netz wandern. Kaum mehr bemerkt wurde im Wahlkampfgetöse:

Es existiert schlicht kein rechtsstaatliches Szenario, in dem das akzeptabel wäre. Eine zarte Hoffnung bleibt, dass eine in der Union vorhandene Skepsis gegenüber der digitalen Überwachungsmaschinerie in den vergangenen Monaten bloß wahlkampfhalber unterdrückt wurde und dass mit dem offenkundigen Ausspähen der EU und Wirtschaftsspionage eine konservative Eskalation der Spähaffären-Debatte erfolgt. Eine sehr zarte Hoffnung.

2. Quittung für die FDP

Foto getwittert von @derfreitag: FDP war zu schwach, zu unmutig und zu CDU

Foto getwittert von @derfreitag: FDP war zu schwach, zu unmutig und zu CDU

Ein netztypisch quellenloses Foto spiegelt die Häme wider, die der FDP im Netz entgegenschlägt. Auf der Getränketafel einer Bar steht: "Was haben Beck's und die FDP gemeinsam? 4,9 Prozent." Auf der Spottmaschine Twitter wird gejubelt, dass die FDP-Abgeordneten endlich mitkriegen, wie schlimm sich ein befristetes Arbeitsverhältnis anfühlt. Aus Netzsicht war Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger zwar die einzige Person im Kabinett, die offen für Grundrechte eintrat. Aber weil ihre liberalen Kollegen zu Bürgerrechtsthemen meistens donnernd schwiegen, war die FDP zu schwach, zu unmutig und zu CDU, um als Korrektiv zu wirken. Ein möglicher Koalitionspartner SPD dagegen unterdrückt seine liberale Facette seit Jahren zugunsten einer irrational sicherheitsfixierten Innenpolitik. Deshalb dürfte mit diesem Wahlergebnis der letzte Funken Liberalität in der Digitalpolitik erloschen sein.

3. Der Missgriff der AfD

Screenshot der AfD-Facebookseite: Schließlich löschte die Partei das Bild

Screenshot der AfD-Facebookseite: Schließlich löschte die Partei das Bild

Die Alternative für Deutschland feierte auf ihrer Facebook-Seite mit einem Foto von Parteichef Lucke. Es war erkennbar bearbeitet, der Text "DANKE, Bernd!" wurde ins Foto montiert. Vor allem aber wurde ein Bildausschnitt gewählt, der auf den ersten und zweiten Blick verstört: Lucke streckt den rechten Arm schräg nach oben, das Foto endet kurz vor der Hand. Die Parallele zum sogenannten "Deutschen Gruß" drängt sich auf. Dass diese Interpretation nicht absurd ist, lässt sich schon daran erkennen, dass die AfD das Foto schließlich selbst löschte.

Natürlich ist dieses Problem nicht durch Bernd Lucke entstanden, der in völlig anderem Kontext seinen Arm hob. Sondern durch das Social-Media-Team der AfD, das das Foto entsprechend beschnitten hat. Der Social-Media-Manager der AfD, Jens Eckleben, war zuvor bei der rechtspopulistischen Kleinpartei "Die Freiheit", die vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet wird. Ein Screenshot der Plattform publikative.org zeigt , dass Eckleben auf YouTube Songs des rechtsextremen Liedermachers und NPD-Bundespräsidentschaftskandidaten Frank Rennicke gut fand.

Aber selbst wenn statt Absicht eine Kombination aus unglücklichem Zufall und fehlender Sensibilität dazu geführt haben sollte (was durchaus sein könnte): Das Bild kann mustergültig für rechtspopulistische Kommunikation im Netz stehen. Dabei wird durch Andeutungen und unterschwellige Hinweise ein Graubereich geschaffen, den die Anhänger nach ihrem Geschmack ergänzen und ausdeuten. Bei einer Partei, deren Äußerungen antieuropäische und nationalistische Töne enthalten, führt das zu entsprechenden Reaktionen im Netzpublikum.

Im August sammelte ein Blog Reaktionen der AfD-Fans auf Facebook, die die Anknüpfungspunkte der Partei an sehr rechtes Gedankengut zeigen . In diesem Kontext wiegt ebenfalls schwer, dass Bernd Lucke am Wahlabend von "Entartungen der Demokratie"  sprach. Von einem politisch aktiven Professor kann man erwarten, dass er das Signal des Begriffs "Entartung" kennt.

Die drei im Netz vielverbreiteten Bilder stehen für drei Netzerkenntnisse dieser Wahl:

  • Die Diskussion zur Spähaffäre ist tatsächlich zu Ende, es sei denn, die Union selbst besinnt sich wegen neuer Enthüllungen anders.
  • Das Fundament einer digitalen Gesellschaft wird in den nächsten Jahren ohne jede Liberalität entstehen.
  • Mit der AfD hat Deutschland seine rechtspopulistische Partei, die trotz eher älterer Wähler enormes Mobilisierungspotential im Netz hat.

tl;dr

Der weitere Weg zur digitalen Gesellschaft ist mit sehr schwarzem Asphalt geteert.