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USA / KRIEGSGEFANGENE Die Ideenfolter

aus DER SPIEGEL 14/1956

Als sich im Sommer 1953 für 4460 amerikanische Soldaten die Tore der kommunistischen Kriegsgefangenenlager in Nordkorea öffneten, wurde Amerika von einer trüben Kunde erschreckt: GIs waren der roten »Gehirnwäsche« zum Opfer gefallen. Fassungslos stand Amerika vor der Tatsache, daß sich US-Soldaten, waschechte Amerikaner, in der roten Gefangenschaft zum Kommunismus bekehrt hatten.

Jahrelang hatte Amerika aus der Gewißheit: »It can't happen here« (bei uns ist so etwas unmöglich) Stolz und Zuversicht gesogen. Es war geradezu zum Dogma geworden, daß des gefangenen amerikanischen Soldaten Glauben an die Demokratie durch nichts zu erschüttern sei. Plötzlich aber mußten Verfahren gegen Soldaten der US-Wehrmacht eröffnet werden, die beschuldigt wurden, während des Koreakrieges in rotchinesischer Gefangenschaft mit den kommunistischen Feinden zusammengearbeitet zu haben.

Das amerikanische Verteidigungsministerium hielt sich lange Zeit an die Version, die heimgekehrten Kriegsgefangenen könnten nicht wegen der vereinzelt vorgekommenen Zusammenarbeit mit dem Feind verurteilt werden, »weil die Alternative in der Gefangenschaft nur Tortur oder Tod hieß«. Gleichzeitig besänftigte ein Sprecher der Armee die aufgebrachte Öffentlichkeit: »Niemand in der Armee hat gesagt, daß sich irgendeiner dieser Männer an den Kommunismus verkaufte.«

So klammerte sich die amerikanische Öffentlichkeit an die amtliche Version, nur eine ganz geringe Anzahl von GIs sei unter unmenschlichsten Torturen in den Dienst der roten Propaganda gepreßt worden. Noch niemals zuvor, klagte die »New York Times« in bewegten Worten, »gab es einen solchen konzentrierten Angriff auf die Gehirne und Gemüter hilfloser Gefangener, wie er von den Barbaren in den Lagern südlich des Jalu unternommen wurde«.

In den letzten Wochen aber, knapp drei Jahre nach der Rückkehr der ersten Kriegsgefangenen aus Nordkorea, bekannte sich die Armee zur vollen Wahrheit. Das Pentagon gab einen Untersuchungsbericht des Armee-Psychiaters Major William E. Mayer frei, der im Gegensatz zu allen bisherigen amtlichen Darstellungen erklärte: »Die Erfolge der kommunistischen ,Gehirnwäsche' offenbaren schwerwiegende Schwächen des amerikanischen Charakters und Mängel in der Erziehung.«

Major Mayer hatte im Auftrage des Verteidigungsministeriums drei Jahre lang das Verhalten von insgesamt 1000 amerikanischen Soldaten in rotchinesischer Gefangenschaft untersucht. Er war dabei zu dem aufregenden Ergebnis gekommen, daß

- ein Drittel aller amerikanischen Kriegsgefangenen im Koreakrieg geistig zu den Kommunisten überlief und

- keiner der gehirngewaschenen GIs »nach ihren eigenen Bekundungen physischer Tortur unterworfen wurde«.

Mit nüchternen Worten zerpflückt Armee-Psychiater Mayer die Legende, die sich in Amerika um das kommunistische System der »Gehirnwäsche« gebildet hat - die Legende nämlich, daß die roten Umschulungsmethoden auf primitiver Gewaltanwendung beruhen. Diese Legende hatte

noch bei der Gründung der inzwischen wieder geschlossenen »Folterschule« der US-Luftwaffe in Nevada Pate gestanden, in der amerikanische Soldaten gegen Terror-Methoden des Feindes in Gefangenschaft fit gemacht werden sollten (SPIEGEL 40/1955).

Dagegen stellt jetzt Major Mayer fest: »Die Gehirnwäsche der Kommunisten ist nicht der Dritte Grad, sie ist nicht ein unmenschliches System ungezählter Torturen und Zaubertricks. Die Gehirnwäsche ist vielmehr ein berechneter Versuch, die Anschauungen und Grundsätze der Menschen zu verdrehen.«

Weiter: »Die Gehirnwäsche besteht aus zwei Dingen. Erstens ist sie ein sorgfältig geplanter, gut durchdachter Erziehungsprozeß. Zweitens ist sie eine intensive psychiatrische Behandlungsweise, nur mit

dem Unterschied, daß bei uns die Psychiatrie dazu da ist, emotionell haltlose Menschen zu festigen, während die Kommunisten damit Angst erzeugen und verstärken. Kurzum, die Gehirnwäsche ist ein äußerst wirkungsvolles Instrument, das bei voller erfolgreicher Anwendung militärische Waffen unnötig machen könnte.«

Solche Worte reduzieren die »Gehirnwäsche« in den rotchinesischen Gefangenenlagern auf das Niveau relativ harmloser Diskussionen, in denen rote Dialektiker ihren unfreiwilligen Schülern das Schreckensbild eines bösen Amerikas in die Gehirne zu pflanzen versuchten. So werden aus den Untaten roter Folterknechte, die bisher im Westen als Grundelement der kommunistischen »Gehirnwäsche« im Koreakrieg galten, einigermaßen bürgerliche Debattierabende, in denen sich lediglich einige Gesprächspartner von Zeit zu Zeit unfeine psychologische Tricks erlaubten.

Major Mayer folgert denn auch, daß es letztlich nicht Gewaltanwendung war - auch sie ist zweifellos in einzelnen Fällen vorgekommen -, die ein Drittel der amerikanischen Kriegsgefangenen in ideologische »turncoats« (Abtrünnige) verwandelte, sondern charakterliche und geistige Schwäche der amerikanischen Landser. Den rotchinesischen Umerziehern wurde ihre Arbeit leicht gemacht, »weil das Verhalten so vieler unserer Soldaten in Gefangenschaft von den historischen amerikanischen Begriffen von Ehre, Charakter, Vaterlandsliebe, Mut und Anstand abwich«.

Nur eine Gruppe unter den ehemaligen Gefangenen nimmt Mayer von seiner Kritik aus: die Gruppe der bewußt religiösen Menschen. »Eine Anzahl von Leuten berichtete uns, daß die religiös orientierten Kriegsgefangenen jede Annäherung des Feindes abwiesen - solche Männer waren oft in der Lage, sich selber und ihre Grundsätze mit der Waffe des Glaubens zu verteidigen.«

Bei seinen Untersuchungen stöberte Mayer erbeutete rotchinesische Geheimdokumente auf, aus denen ihm das kommunistische Bild des amerikanischen Soldaten entgegenblickte, das der Major »teilweise« für begründet hält:

- »Der amerikanische Soldat scheint ein Soldat von schwacher Ergebenheit gegenüber Familie, Vaterland, Religion und Kameraden zu sein.

- »Seine Vorstellungen von Recht und Unrecht sind oft nebelhaft, und Opportunismus ist ihm nicht unbekannt.

- »Er hält sich für unsicher und unzulänglich.

- »Er weiß kaum etwas von sozialen Werten, sozialen Spannungen und Konflikten.

- »Er ist außergewöhnlich insular und provinziell, hat kaum eine Ahnung von den Problemen und Zielen derer, die er geringschätzig die ,Foreigners' (Ausländer) nennt.

- »Er würdigt nicht die Bedeutung und Notwendigkeit militärischer Organisation und Disziplin, die Tradition seiner Armee, ihre Aufgaben und Ziele.

- »Oft ist er der Ansicht, daß der Wehrdienst eine verhaßte, unvermeidliche Knechtschaft ist, die man kurz tolerieren muß, um ihr dann zu entfliehen.

Oder er ist ein Friedenssoldat« der nur einen leichten und sicheren Job sucht. Diese beiden Typen verabscheuen Härte und Opfer in jeglicher Form, als wären sie töricht und für ihr persönliches Wohlergehen eine Zumutung.«

Von allen charakterlichen Defekten des amerikanischen Kriegsgefangenen im Koreakrieg - Unkameradschaftlichkeit, Mangel an geistigem Widerstand gegen die Kommunisten, Disziplinlosigkeit und Verrat - ist Major Mayer über den geringen kameradschaftlichen Geist am meisten bekümmert.

Tatsächlich ist es der amerikanischen Armeeführung bis auf den heutigen Tag nicht gelungen, unter den Soldaten eine innere Geschlossenheit zu erzeugen, die bisher alle großen Heere der Geschichte auszeichnete. »Comrade« hat noch immer einen abwertenden Klang in den Einheiten der Armee. Der »buddy« dagegen ist nicht viel mehr als ein Kumpel, dem man bestenfalls in der Freizeitatmosphäre zwischen Whisky und Spieltisch begegnet.

»Vielen Kriegsgefangenen war offenbar nie gesagt worden, daß sie auch für das Leben ihrer Kameraden verantwortlich sind«, beobachtete Mayer. »Einige Kriegsgefangene sprachen von der 'Ein-Hund-frißt-den-anderen'-Einstellung.« Damit erklärt Mayer nicht nur den hohen Prozentsatz der in Gefangenschaft gestorbenen GIs, sondern auch den schwachen Widerstand gegen die rote »Gehirnwäsche«.

Neben der weitverbreiteten Unkameradschaftlichkeit führt Major Mayer noch weitere Faktoren an, die zu dem beunruhigenden Erfolg der roten Gehirnwäscher

beitrugen: Die Unfähigkeit der amerikanischen Offiziere und Unteroffiziere, auch in der Gefangenschaft die Führung ihrer Männer zu behalten; das psychologische Geschick der rotchinesischen Instruktoren ("außergewöhnlich gebildete, meist junge Männer"), die auf amerikanischen Universitäten studiert hatten und mit der amerikanischen Mentalität vertraut waren; die Hilflosigkeit der jungen GIs, die - überwiegend ohne politische Vorbildung - der politischen Dialektik ihrer roten Bewacher ausgeliefert waren.

In seiner Kritik an dem Verhalten des amerikanischen Kriegsgefangenen im Koreakrieg deutet Psychiater Mayer an, daß letztlich das amerikanische Erziehungssystem die Ursache des Versagens so vieler GIs in den kommunistischen Gefangenenlagern ist. Das Versagen der GIs, meint er, sei nicht zuletzt auch, ein Versagen der amerikanischen Schule gewesen.

Mayer: »Es spielt keine Rolle, wieviel Mathematik, Straßenbau, Holzverarbeitung und so weiter wir in den Schulen lehren. Wenn wir nicht in der Lage sind, unserer Jugend in erster Linie staatsbürgerliche Pflichten und Verantwortung beizubringen, dann erfüllt die Schule nicht ihre erste Pflicht in einer demokratischen Gesellschaft. Es ist die Aufgabe der Schule, aktive, verantwortliche Mitglieder der Gemeinschaft zu erziehen.«

Hinter solchen staatspolitischen Platitüden verbirgt sich die für einen amerikanischen Offizier recht ungewöhnliche Erkenntnis, daß nicht mit verschärftem Drill, sondern mit Geist und Ideen der roten »Gehirnwäsche« entgegengewirkt werden muß. Major Mayer: »Wir sind In einen Kampf verwickelt, der weniger mit Waffen als mit Ideen geführt wird.«

US-Kriegsgefangene im rotchinesischen Verhör: Die Amerikaner kapitulierten...

US-Major Mayer

... vor harmlosen Tricks

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